Laudatio "Amatas Ankunft" 2007
Ich freue mich sehr heute hier diese Ausstellung eröffnen zu dürfen, denn
ich verfolge und schätze die Arbeiten von Hilmar Jess und Meike Zopf
schon über längere Zeit. Und ich freue mich auch deswegen sehr, weil ich
es absolut wichtig finde, wenn es Künstler gibt, die sich entscheiden,
nicht wie alle anderen nach Berlin zu ziehen, sondern, die hier in
Hannover leben und arbeiten, und die wie Meike Zopf und Hilmar Jess von
hier aus ihre Ausstellungen in der ganzen Republik organisieren.
Diese
Ausstellung heute hier trägt einen sehr persönlichen Titel: Amatas
Ankunft. Hilmar Jess und Meike Zopf haben sie so genannt, weil die
meisten der hier gezeigten Arbeiten mehr oder weniger kurz vor oder nach
der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Amata entstanden sind. Doch auch
wenn sich viele Zusammenhänge der Werke in der ein oder anderen Weise
auf dieses Ereignis beziehen lassen, so geht es hier nicht etwa in
erster Linie um die Verarbeitung persönlicher Erfahrungen, vielmehr sehe
ich hier allgemeingültige Themen berührt, die eine
gesamtgesellschaftliche Relevanz haben, wie Mutterschaft, Vaterschaft,
Geburt und damit verbundene Rollenbilder im Wandel der letzten 50 Jahre.
Ganz allgemein gesprochen geht es auch um Energien, die das Leben
befördern auf der einen und zerstörerische Kräfte und Gefährdungen auf
der anderen Seite. Und so unterschiedlich die künstlerischen
Ausdrucksformen von Meike Zopf und Hilmar Jess sich uns präsentieren, so
werden sie denke ich mit mir gemeinsam feststellen, dass es durchaus
inhaltliche und motivische Parallelen gibt.
Zunächst zu Hilmar
Jess. Seine Arbeiten wurden unlängst auf den Dornumer Kunsttagen 2007
mit dem Preis des Publikums ausgezeichnet. Daneben waren Werke von ihm
in den vergangenen Jahren u.a. in der Galerie Artbuero Berlin, im
Kunstverein Isernhagen, im Schloss Meinberg in Schweinfurt sowie in
verschiedenen Ausstellungsorten in Hannover zu sehen.
Die hier
gezeigten Arbeiten, sind wie gesagt zum Großteil im Laufe des
vergangenen Jahres entstanden. In einigen, vor allem in einigen der
digital bearbeiteten Foto- und Filmarbeiten wird das Thema Kind explizit
bildhaft thematisiert. In „Amatas Universum“ beispielsweise zieht ein
Kind sich spiralförmig an einer Art Nabelschnur quasi selbst aus den
Tiefen des Universums in den Bildvordergrund. Nach dem Prinzip der
Ähnlichkeit fraktaler Strukturen, wie wir sie aus der Mandelbrot-Menge
der mathematischen Chaostheorie kennen, auch bekannt als Apfelmännchen,
wiederholen sich die ineinander greifenden Formationen aus dem
Vordergrund und vervielfachen sich bis in das Zentrum der Spirale hinein
unendlichfach. Das damit einhergehende Prinzip einer perspektivischen
Konzentration auf ein bestimmtes oder auch mehrere Zentren findet sich
auch in anderen Fotoarbeiten wieder. Verfremdete Elemente der
Wirklichkeit treffen so auf komplexe geometrische Ordnungen.
Wirklichkeitsebenen überlagern und durchdringen sich und lassen
vielschichtige Universen entstehen, deren Charakter mitunter in
Zeichnerische oder auch Malerische übergehen und die eine unglaubliche
Energie und Kraft ausstrahlen.
Die filmische Arbeit Kreuzkokon
arbeitet mit dem geometrischen Prinzip des Kaleidoskops, in dem sich
Spiegelungen in beständig veränderten Ausrichtungen wieder und wieder
brechen. Das gespiegelte und damit stark abstrahierte Bild des Kindes
erhält hier etwas kokonhaftes, wie eine Insekten-Puppe ist das Kind in
einer schützenden Hülle geborgen. Hinzu tritt in der filmischen
Animation ein pulsierender Rhythmus des Zusammenziehens und
Auseinanderdriftens, der an ein schlagendes Herz erinnert. Angeordnet
sind die Kokons in einer Kreuzform, ein Symbol, das im Werk von Hilmar
Jess immer wieder eine Rolle spielt. In vorchristlicher Zeit stand es
für die verschiedenen Ebenen des Daseins, für das vertikale Prinzip der
Erde und des Wachsens aus der Erde und für das horizontale Prinzip des
Himmels. Man kann in den vier Enden aber auch die vier Elemente
festmachen oder im christlichen Kontext es als ein Symbol für eine
Wiedergeburt aus dem Tod heraus sehen. XXX ist somit geradezu eine
Visualisierung fundamentaler Prinzipien menschlichen Lebens und seinen
Metamorphosen und zugleich eine Thematisierung grundlegender
menschlicher Bedürfnisse nach Schutz und Aufgebobensein.
Um
grundlegende Prinzipen unseres Daseins, wie Leben, geboren werden,
gefährdet sein und Tod geht es auch in den Skulpturen von Hilmar Jess.
Seit inzwischen bereits 13 Jahren arbeitet er neben seiner Tätigkeit als
Künstler auch als Dozent für die Kunst des Schmiedens und Schweißens
bei dem Verein KATT und der VHS. Ausgangspunkt seiner eigenen Arbeiten
sind häufig ungewöhnliche oder skurrile Fundstücke aus Metall, Holz oder
Glas. In den skulpturalen Umsetzungen werden daraus im Prozess des
Schweißens, Schmiedens, Sägens oder Hämmerns, archaische Symbole und
Zeichen in zeitgenössischer Ausdeutung. Die Arbeit „Skarabäus“
beispielsweise erinnert an das altägyptische Glückssymbol des Skarabäus.
Die drei Meter Hohe Steele, auf dessen Spitze die „Schutzgöttin Amatas“
montiert ist, lässt uns an eine altertümliche Sonnengottheit denken,
die Arbeit Cernunnos bezieht sich auf den gleichnamigen keltischen
Hirschgott. Der Feindzerstörer hingegen greift ein Symbol aus dem
Buddhismus auf. Es steht für die Befreiung von unseren inneren Feinden.
Und so scheint die goldene Maske, die in dem Kreisrund am Kopf des
seltsamen Gefährts montiert ist – deren Wirkung man sich ebenso wenig
entziehen kann, wie den eindringlichen Masken eines Bruce Naumann – uns
so etwas wie einen Spiegel vorhalten zu wollen, der uns sagt, dass die
wahren Feinde in uns selbst zu finden sind. Die gewisse Aggressivität im
Titel und im verwendeten Material, z.B. in den Spitzen der Zahnräder
oder den raketenähnlichen Antriebskörpern an den Seiten und die zugleich
einhergehende positive Botschaft trifft das Thema der überlieferten
buddhistischen Symbolik genau im Kern. Die ästhetische Form, die Hilmar
Jess uns dafür erfindet, schafft freilich ein gänzlich transformiertes
Erscheinungsbild.
Die Ambivalenz positiver und negativer Kräfte
und Energien durchzieht das gesamte Werk von Hilmar Jess. Diese
Ambivalenz ist bereits in den verwendeten Materialien anwesend. Die
Wärme von Holz, aber auch seine Vergänglichkeit im Stadium der
Verwitterung, die Kühle von Glas und auf der anderen Seite sein
kraftvolles Funkeln, die Energie des Feuers, festgehalten im Material
Metall, das aber zugleich auch eine große Kälte ausstrahlen kann und das
die Form gefährlicher Spitzen und Klingen annehmen kann. Und sie zieht
sich hinein in die Bedeutung der Arbeiten. So zeigt die Ausstellung auch
Werke mit eindeutig aggressiver und aufrüttelnder Botschaft, wie der
mit einer rostigen Kette geknebelte Soldatenkopf oder die Werke, in
denen Jess Original-Schießscheiben aus US-amerikanischen Armeebeständen
verwendet.
Mit der Arbeit Thule gelingt Jess die beängstigende
Beschwörung eines legendären okkulten Geheim-Ordens, dem auch Hitler
angehört haben soll und der als finanzstarker und eigentlicher
Drahtzieher von einigen Historikern für die Machtergreifung der Nazis in
Deutschland verantwortlich gemacht wird. Hilmar Jess’ Personalisierung
dieses abgrundtief bösen Ordens kommt daher als ein metallenes
Maschinenwesen mit einem vogelähnlichen Kopf und messerscharfen Sensen
an der Stelle von Schwingen. Treffender kann man sich eine
Visualisierung für das Wesen des Bösen kaum vorstellen. So wie hier
weisen die Arbeiten von Hilmar Jess, auch wenn sie stets mit konkreten
Benennungen, Symbolen und archaischen Zeichen arbeiten, stets über den
einzelnen Zusammenhang hinaus auf etwas Allgemeines, Generalisierbares,
das der Betrachter auch lesen kann, ohne den Hintergrund zu kennen; denn
seine Werke sind bei allen Bezüglichkeiten letztlich eigenständige
Neuschöpfungen und Transformationen althergebrachter Zeichen und
Symbole.
Soweit zu den Arbeiten von Hilmar Jess, wenden wir uns
nun den Arbeiten von Meike Zopf zu, die zwar weniger schroff daher
kommen, die sich aber letztlich auch in einem Spannungsfeld
gegensätzlicher Energien bewegen.
Wir sehen heute hier nur einen
kleinen Ausschnitt aus ihrem Werk, zum einen weil der Raum natürlich
begrenzt ist, zum anderen aber auch aus dem Grund, dass sie derzeit
parallel zwei andere Ausstellungen hat. Meike Zopf wird inzwischen von
der Galerie VonderBank unter den Linden in Berlin vertreten, die derzeit
mit einigen ihrer Werken auf der Kunstmesse Istanbul Contemporary
vertreten ist. Außerdem sind ihre Arbeiten gerade in einer
Einzelausstellung in einer Galerie in Leipzig zu sehen. Sie sehen also
auch am Beispiel von Meike Zopf, dass man nicht in Berlin leben muss, um
als Künstlerin erfolgreich zu sein. Selbst wenn man wie sie dort
geboren und aufgewachsen ist. Studiert hat Zopf in Berlin, Ottersberg
und schließlich in Hannover, dort u.a. bei Verena Vernunft und Christian
Riebe, bei denen sie 2005 als Meisterschülerin abgeschlossen hat. Ein
weiterer wichtiger Künstler für die Entwicklung des eigenen Werks war
der Documenta 11-Teilnhemer Watts Quattara, bei dem Meike Zopf an der
Internationalen Salzburger Sommerakademie studiert hat.
Die
Bilderwelt von Meike Zopf blättert uns vielschichtige Traumwelten auf,
verführerisch schön und ebenso rätselhaft. Blumenornamente, Frauen- und
Männerfiguren und immer wieder verlorene oder in sich gekehrt wirkende
Kinder, die übrigens schon lange vor der Geburt der eigenen Tochter
Amata eine zentrale Rolle in ihren Werken gespielt haben. Häufig sind
die Gesichter ihrer Figuren verdeckt oder unvollendet. Auf diese Weise
tritt das dargestellte Individuum in den Hintergrund und die Figur wird
zu einer Art Typus.
In der hochkomplexen Arbeit „Vom Fliegen“
hockt ein Mädchen in einer roten Strumpfhose, das Gesicht von einer
breiten Augenbinde vollständig verdeckt im Zentrum des Bildes. Um sie
herum die unterschiedlichsten Fragmente: das verwitterte Gesicht einer
alten Frau, die ebenfalls eine Augenbinde trägt, die Beine und der
Unterkörper eines gekreuzigten Jesu, dessen Geschlecht von einem Tuch
verhüllt wird, weiter oben dagegen ein entblößtes männliches Geschlecht,
eine weitere weibliche Figur in einer Art Tunika auf der rechten Seite,
lediglich als zeichnerische Struktur angedeutet, Blütenbouquets,
kristalline Strukturen, eine schwarze, schützende Mantelform, sowie die
Tragfläche eines Flugzeugs, alle diese Elemente wirbeln förmlich um das
Mädchen herum wie ein ungeordneter Strudel aus Traumfragmenten,
Erinnerungen oder auch Visionen.
Bevor wir auf die möglichen
Bedeutungen einzelner Elemente zu sprechen kommen, zunächst zur Malerei
selbst. Wir treffen hier auf eine Malerei, in der sich zeichnerische und
malerische Elemente begegnen, überlagern und mitunter miteinander
streiten. Eine Malerei, die aus den spannungsvollen Gegensätzen zwischen
skizzenhaften, eher vagen und komplexen, sehr konkreten Formen lebt.
Leichtgängige Transparenzen stehen neben geballten Konzentrationen,
figürliche Elemente neben abstrakten Bereichen, in denen allein die
reine Farbe und die reine Malerei die Regie übernehmen. Scheinbar
unvollendete, offene Strukturen und schemenhafte, transparente Körper
treffen auf ausgearbeitete, kunstvoll stilisierte Darstellungen, die
mitunter vor allem in den Attributen der Figuren, den Blumenbouquets,
den kristallinen Formationen oder den stark vergrößerten,
mikroskopischen Strukturen einfachster Lebensformen aus dem Meer ins
üppig ornamenthafte übergehen. Diese mikroskopischen Strukturen sind
übrigens inspiriert von Ernst Haeckls Publikation „Die Natur als
Künstlerin“, die bereits die Surrealisten zu ihren phantastischen
Erfindungen veranlasst hat. Das Faszinierende an diesen mikroskopischen
Entdeckungen ist wohl vor allem das Vorhandensein, von mathematisch
streng geordneten Strukturen inmitten organischen Lebens.
Fragt
man nach der Bedeutung der Werke, so drängen sich uns unweigerlich
Vergleiche zu bestimmten Symbolen auf, die tief in unserem kollektiven
Gedächtnis verankert sind, wie die Madonna, in diesem Fall ist es eine
schwarzgewandete, eine trauernde Madonna – sie erinnern sich an die
schwarze Mantelstruktur in der Arbeit „Vom Fliegen“. Weitere
wiederkehrende Symbole sind das menschliche Herz, das Kruzifix,
gefaltete Hände oder die Taube. Nähert man sich der Bedeutung der
einzelnen Elemente, die man natürlich immer im Zusammenspiel des
Bildganzen sehen muss, so zeigt sich, dass Meike Zopf die Symbole in
gewisser Weise aus Ihren ursprünglichen oft religiösen Zusammenhängen
herauslöst, sie sich aneignet und daraus eine Art eigene persönliche
Mythen- und Symbolwelt schöpft. Ein Prinzip dass die Surrealisten
bereits sehr erfolgreich angewandt haben und dass in der Kunst des 20.
und 21. Jh. bis heute eine zentrale Rolle spielt. Harald Szeemann hat
1963 die Bildung individueller Mythen als zeitgenössische künstlerische
Form des Umgangs mit Symbolen und Zeichen diagnostiziert. Bei Meike Zopf
ist es eine durchaus weiblich zu nennende Zeichenwelt, die uns hier
begegnet und die sie wohltuend von anderen zeitgenössischen
Malerei-Positionen unterscheidet. Vor allem die Frage nach weiblichen
und auch männlichen Rollenbildern taucht immer wieder auf, ohne dabei
eine Patent-Antwort bereit zu halten. Welche Rolle spielt die Künstlerin
in der Gesellschaft und wie verändert sich diese Rolle, wenn sie Mutter
wird, bedeuten Kinder zwangsläufig einen Karriereknick, welche
Männerrolle ist mit einer Vaterschaft vereinbar, usw. Es sind aber auch
Themen wie das Leben selbst und seine Gefährdung, die vor allem im
Symbol des Herzens immer wieder thematisiert werden.
Die Herzen
in den Bildern von Meike Zopf funktionieren nur bedingt als Symbole der
Liebe, es sind fleischliche Herzen, die für das Pulsieren des Lebens
stehen, die aber herausgelöst aus dem Körper immer auch seine
Verletzlichkeit symbolisieren. In der Arbeit „Amatas Ankunft“ ist die
zentrale weibliche Figur – mit Atemmaske, einem wehrhaften Rock im
Tarnmuster und kritisch verschränkten Armen – mit zwei Herzen verbunden,
eines in einem dunklen Rot befindet sich direkt vor ihr, vor der Brust
einer zweiten graue Figur – einer Art männlichen Dialogfigur –, deren
Kopf vollständig von einem schwarzen Mantel verdeckt wird, den wir schon
aus anderen Arbeiten kennen, und der hier über und über mit Blumen und
floralen Strukturen übersät das Zentrum des Bildes beherrscht, dabei die
weibliche Figur von zwei Seiten schützend einrahmt. Die Füße der Figur
stehen auf einer kleinen inselartigen Plattform, die in einer nicht
weiter definierten malerischer Fläche förmlich zu schweben scheint. Eine
zweite herzartige Struktur, die sich scheinbar in Auflösung befindet,
hängt an der seitlichen Schultertasche. In der Mitte des schützenden
schwarzen Mantels befinden sich gefaltete Hände, ein zweites Paar
gefalteter Hände ragt vom rechten oberen Bildrand in die komplexe
Komposition herein. Es ist ein Bild in dem sich Hoffnung und Gefährdung
verbinden, Schutz und Angriffslust, Abwarten und Ankommen, Isolation und
Verbundenheit. Mit dem Titel des Bildes verhält es sich übrigens anders
herum als man annehmen könnte. Schon bevor die Eltern wussten, dass sie
ihre Tochter Amata nennen wollen, lautete der Titel des Bildes „Amatas
Ankunft“, erst danach bekam die Tochter den Namen Amata, d.h. der Titel
des Bildes war sozusagen vor dem „Titel“ des Kindes da.
Es hat
ziemlich lange gedauert, bis ich selbst mich intensiv mit dieser Arbeit
befassen konnte, vielleicht haben Sie es ja schon selbst erkannt. Meine
Figur ist zwar stark verfremdet, aber ich erkenne mich dennoch sofort
darin. Und ich möchte Ihnen kurz erzählen, wie es sich anfühlt in einem
Bild von Meike Zopf zu sein. Die leeren oder maskierten Gesichter
entindividualisieren das Personal ihrer Werke hatte ich eingangs gesagt,
sicher ist das auch so. Wenn man allerdings sich selbst und die eigene
Körperhaltung selbst in einem solchen Bild wiedererkennt, ändert sich
das ein wenig. Kurz gesagt, ich war ein wenig schockiert mir so
unvermittelt – ich glaube es war beim Zinnober Kunstvolkslauf 2006 – auf
einmal selbst gegenüber zu stehen. Zum einen wegen der Atemmaske, die
zunächst eine gesundheitsbedrohende Situation suggeriert.
Interessanterweise funktioniert die Maske ja in zwei Richtungen, sie
schützt das Innere vor schädlichen Einflüssen von Außen und sie schützt
das Außen bspw. bei einer OP vor den möglicherweise gefährlichen
Bakterien oder Erregern aus dem eigenen Inneren. Schockiert war ich aber
vor allem deswegen, weil die Figur eine ganz bestimmte abwartend
distanzierte Körperhaltung einnimmt, die ich von mir sehr gut kenne, es
ist die abwartend distanzierte Körperhaltung, die ich oft einnehme, wenn
ich mich auf einer Ausstellungseröffnung befinde. Eine Haltung, die Sie
vielleicht auch von sich selbst kennen und die sagt: Na ja, dann wollen
wir doch mal sehen, was uns die Künstler hier heute mit ihren Arbeiten
sagen wollen und welche schlauen Erklärungen sich die
Kunstwissenschaftler dazu haben einfallen lassen.
Damit möchte
ich Sie nun abschließend gerade zum Gegenteil einladen, nämlich den
Arbeiten von Hilmar Jess und Meike Zopf offen gegenüber zu treten und
ihre ganz eigene Deutung zu entwickeln, denn im Grunde wollen die Bilder
und Skulpturen genau das: Dass man sich Ihnen aussetzt mit seinen
eigenen Gedanken, Gefühlen, Ängsten und Wünschen und die individuellen
Mythen für sich weiterdenkt. So eröffnet Meike Zopf uns
Projektionsräume, in denen wir zwar motivische und symbolische
Festlegungen finden, die aber offen sind für eigene Ausdeutungen und
Assoziationen. Und auch die Werke von Hilmar Jess laden uns ein, sich
ihnen auszusetzen und eigene Interpretationen der Symbole und
archaischen Zeichen zu versuchen. Mit diesen Empfehlungen schließe ich
meine kleine Einführung und bedanke mich sehr herzlich für Ihre
Aufmerksamkeit.
Anne Prenzler, Nov. 2007